Friede, Freude, Buchverbrennung

Was der Schreiber so liest (31)

Ray Bradbury: Fahrenheit 451 (1953)

Ray Bradbury: Fahrenheit 451 (1953); Verlag Das Neue Berlin, Erstauflage 1974

Wer Bücher nach einer gewissen Zeit ein zweites oder drittes Mal liest, wird feststellen, dass sie sich verändern. Bei nur wenigen ist mir das so deutlich geworden wie jetzt bei Ray Bradburys „Fahrenheit 451“. Bei meiner ersten Lektüre war ich 15 Jahre alt und verschlang kiloweise Science Fiction beziehungsweise utopische Literatur, wie das damals noch hieß. In diesem Jahr habe ich das Buch erneut zur Hand genommen. Und zwar, weil mich in der gegenwärtigen Corona-Krise so ein ebenso unbestimmtes wie unangenehmes Gefühl beschleicht, dass Bücher für die Menschen immer unwichtiger werden – war das nicht schon in „Fahrenheit 451“ so? Das Buch wurde 1953 geschrieben, zu einer Zeit, in der sich die Welt nach dem heißen gerade in den kalten Krieg stürzte. Zu einer Zeit, wo noch niemand forderte, die Sprache möge sich einer gewissen „political correctness“ unterordnen.
Worum geht es in dem Buch. Die Temperatur 451 Grad Fahrenheit entspricht 232 Grad Celsius und damit genau der Temperatur, bei der Bücher Feuer fangen. Solche Bücherverbrennungen sind der Job des Feuerwehrmanns Guy Montag und seiner Kollegen in einer nicht näher benannten fernen Zukunft. Wenn Häuser mit feuerfestem Material überzogen sein werden, benötigt man die Feuerwehr, wie wir sie heute kennen, nicht mehr. Auch zwischenmenschliche Beziehungen sind überflüssig geworden – man hat ja die „Familie“, eine Dauerberieselung mit Banalitäten auf zimmerwandgroßen Fernsehschirmen. Selbst Bücher, ja auch der Bücher bedarf es nicht mehr, es werden gar keine mehr gedruckt. Und der Grund?
Genau hier sind wir beim aktuellen Bezug. Bücher wurden bei Bradbury nicht etwa, wie uns die Gegenwart vor Augen führt, durch sinnfernes Unterhaltungsfernsehen ersetzt. Nein, die Bücher haben sich schleichend aus dem Leben gestohlen. Denn das Lesen von Büchern erhält einen wachen Sinn, etwas, woran die anonymen Mächtigen in Bradburys Dystopie nun keinerlei Interesse haben könne. Und so suchte man nach Gründen, Bücher Stück für Stück aus dem Leben zu verbannen. Irgendwann werden sie verboten, ihre Besitzer als Verbrecher gebrandmarkt.
An einer Stelle in Bradburys Geschichte erhält Feuerwehrmann Montag, der von so einer Bücherverbrennung heimlich ein Exemplar mitgenommen hatte, Besuch von seinem Vorgesetzten, Hauptmann Beatty. Und Beatty erklärt: „Du mußt begreifen, bei der Ausdehnung unserer Kulturwelt kann keinerlei Beunruhigung der Minderheiten geduldet werden. Sag selber, was ist unser aller Lebensziel? Die Menschen wollen doch glücklich sein, nicht? Hast du je etwas anders gehört? Ich will glücklich sein, sagt ein jeder. Und ist er es etwa nicht? Sorgen wir nicht ständig für Unterhaltung und Betrieb? … Farbige nehmen Anstoß an ‘Kein Sambo‘. Man verbrenne es. Den Weißen ist ’Onkel Toms Hütte‘ ein Dorn im Auge. Man verbrenne es. Jemand hat ein Buch über Rauchen und Lungenkrebs geschrieben? Den Tabakfritzen laufen die Tränen herunter? Man verbrenne das Buch. Seelenfrieden, Montag, Gemütsruhe, Montag. Nur kein Ärgernis. Lieber in den Eimer damit.“
Natürlich endet die Geschichte in einer Katastrophe, ach was, in einer Verkettung von Katastrophen, weil Guy Montag anfängt zu denken. Und am Ende ist auch noch ein bisschen Licht im Tunnel. Aus Spoilergründen will ich hier keine Details verraten.
Aber was machen wir heute?
Wir verdrehen und verrenken die Sprache, um scheinbar korrekt zu sein. Was in meiner Jugend Rüpel, Prügler und Störenfriede waren, benannte man schonend in „verhaltensauffällige Kinder“ um. Das darf nicht mehr sein. Könnte ja einigen Eltern unangenehm sein. Neudeutsch heißt es nun „verhaltensoriginelle Kinder“. Was wäre Mark Twains Tom Sawyer ohne „Halbblute“ und „Nigger“? Kann man, ohne das verpönte N-Wort zu verwenden, einen Roman schreiben, der in der Zeit des amerikanischen Sezessionskriegs spielt? Ist Otto Waalkes ein Rassist, weil er vor mehr als 30 Jahren den Alltagsrassismus einer reichen weißen Frau filmisch karikiert hat?
Wann fangen wir an, Bücher zu verbieten, weil sie möglicherweise Minderheiten (ich glaube, dieses Wort kommt als nächstes auf den Index der Sprachpolizei) nicht gefallen könnten? Von Bücherverbrennung will ich da gar nicht reden. Es reicht schon, wenn wir uns mit fanatischem Eifer selbst verletzen, um andere beschützen zu wollen. Ich jedenfalls finde das ziemlich verhaltensoriginell.
In der Tat – die Warnungen von Ray Bradbury sind aktueller denn je. Und man liest ihn heute mit anderen Augen.

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