Von der Gefährlichkeit des Erinnerns

Was der Schreiber so liest (32)

Christoph Hein: Trutz (2017)

Christoph Hein: Trutz. Suhrkamp Verlag 2017

Jahrelang hatte ich die Lektüre von Christoph Hein vor mir hergeschoben, ja ich fürchtete mich ein wenig vor dem hochdekorierten Stückeschreiber und Schriftsteller. Im vergangenen Jahr wagte ich mich an „Horns Ende“ (1985), einem wie aus Stein gemeißelten Roman über ein individuelles Schicksal in den etwas schwereren DDR-Jahren. „Weisskerns Nachlass“ (2011) folgte, mein Lektüre-Vergnügen wuchs, zumal Hein hier mit mehr Leichtigkeit zu schreiben schien. Nun hatte ich „Trutz“ (2017) am Wickel, einen Roman, in dem er rückblickend und vorwärtserzählend „Von der Gefährlichkeit des Erinnerns“ weiterlesen

Nebel über dem Kaukasus

Was der Schreiber so liest (30):

Nino Haratischwili: Die Katze und der General (2018)

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Nino Haratischwili: Die Katze und der General. Frankfurter Verlagsanstalt 2018

Gleich mit ihrem Romandebüt „Juja“ (2010) schaffte es die 1983 in Georgien geborenen Nino Haratischwili auf die Longlist des Deutschen Buchpreises. Acht Jahre später und nach ihrem großen Erfolg „Das achte Leben (Für Brilka)“ erschien in der Frankfurter Verlagsanstalt „Die Katze und der General“ – und landete bereits auf der Shortlist für den Buchpreis. Ob dabei die Tatsache eine Rolle spielte, dass Georgien 2018 das Gastland der Frankfurter Buchmesse war, bleibt natürlich ein Geheimnis der Jury.
Worum geht es in dem Buch? Haratischwili verknüpft ein grausiges Geschehen während des Tschetschenien-Krieges vor 20 Jahren mit dem Leben der Einwanderer in Berlin in der Gegenwart. Die „Katze“, eine Schauspielerin, die wie ihre Schöpferin aus Georgien stammt, bekommt von einem russischen Oligarchen, dem „General“ ein seltsames, aber lukratives Angebot. Für ein Video soll sie eine Tote spielen, eine junge Frau, die vor 20 Jahren in Tschetschenien bei einer Vergewaltigung getötet wurde. „Nebel über dem Kaukasus“ weiterlesen

Mit fahrlässiger Tollkühnheit

Was der Schreiber so liest (29):

Patricia Highsmith: Der talentierte Mr. Ripley (1955)

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Patricia Highsmith: Der talentierte Mr. Ripley. Diogenes, 2002

Es gilt allgemein als verpönt, wenn man Krimis „spoilert“, wenn man dem Leser wesentliche Handlungselemente verrät, bevor er das Buch aufschlägt. Bei Patricia Highsmiths „Der talentierte Mr. Ripley“ darf man da getrost eine Ausnahme machen. Schließlich – es ist ja auch kein Geheimnis, dass Faust ein Verhältnis mit dem minderjährigen Gretchen eingegangen ist. Und Highsmiths Mr. Ripley ist nun einmal ein Monument. Jeder, der sich ernsthaft mit Kriminalliteratur beschäftigt – egal, ob als Leser oder als Schreiber – sollte Highsmith gelesen haben. Genauso wie die Bücher von Edgar Allan Poe und Agatha Christie, Raymond Chandler und Rex Stout, Petros Markaris und P.D. James, Arkadi Adamow und Polina Daschkowa, Andrea Camilleri und Henning Mankell, Horst Bosetzky (-ky) oder Michael Preute (Jacques Berndorf) … ich höre wohl besser auf.
Patricia Highsmith begründete ihren Ruhm vor allem darauf, die bis dato geltenden Konventionen des Kriminalromans vollkommen auf den Kopf gestellt zu haben. Bei Highsmith siegt das Böse über das Gute; der Mörder Ripley kommt davon.
So einfach? So einfach ist das nicht… „Mit fahrlässiger Tollkühnheit“ weiterlesen

Klein, fein – und doch ein wenig schlicht

Was der Schreiber so liest (28)

Stephen King: Erhebung (2018)

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Stephen King: Erhebung. Heyne 2018

Das hat mich dann doch ein bisschen ratlos gemacht: Komme ich eines Tages zu meiner Buchdealerin, und sie fragt mich mit schelmischem Lächeln, ob ich den neuen King nicht mitnehmen will. Eine steile Falte gräbt sich in meine Stirn. Den „Outsider“ hatte ich erst vor ein paar Wochen gekauft. Da lächelt sie und weist auf ein unscheinbares Bändchen. Eine Verwechslung? In gelben Versalien steht dort der Name des Meisters – auch das Logo des Heyne-Verlages findet sich. Ich nehme das Leichtgewicht in die Hand. Es ist so anders als die Kings, die ich kenne. Zwar ein Hardcover, fehlt ihm aber der Schutzumschlag. Und dann: 144 Seiten, es wiegt fast nichts.
Das hat „Erhebung“ auch mit seinem Protagonisten gemeinsam. Scott Carey, eine stattliche Erscheinung von 1,93 Meter, wird immer leichter, ohne dass sein Körper sich verändert. So weit, so schlecht. Ein befreundeter und pensionierter Arzt, den er ins Vertrauen zieht, weiß keinen Rat – die empfohlene Untersuchung durch Spezialisten lehnt Scott ab, er will nicht in irgendein Räderwerk höherer Mächte geraten. „Klein, fein – und doch ein wenig schlicht“ weiterlesen

Im Rausch der Gewalt

Was der Schreiber so liest (27)

Joyce Carol Oates: Pik Bube (2015)

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Joyce Carol Oates: Pik Bube. Droemer 2018

Im Zeitalter lesbarer Briketts ist es eher ein schmales Bändchen, das Joyce Carol Oates mit dem Psycho-Thriller „Pik Bube“ vorlegt. Darin führt der Protagonist, der berühmte und erfolgreiche Kriminalschriftsteller Andrew Rush (der im Buch von der Kritik als „des Bildungsbürgers Stepen King“ klassifiziert wird) ein nur scheinbar harmloses Doppelleben. Nachts schreibt er unter dem Pseudonym „Pik Bube“ bluttriefende Gewaltfantasien. Nicht einmal seine Familie, geschweige denn sein Verlag oder die Öffentlichkeit wissen, wer sich hinter dem Namen Pik Bube verbirgt. Indes: Pik Bube ergreift mehr und mehr Besitz von Andrew Rush, steuert zunächst nur sein Denken … und das Unheil nimmt seinen Lauf.
Auslöser ist die Klage einer geistesgestörten Frau, die Rush des Plagiats und des Diebstahls bezichtigt. „Im Rausch der Gewalt“ weiterlesen

Warmherzig und betulich – Queen Agatha

Was der Schreiber so liest (26)

Agatha Christie – Die Autobiographie (1950-1965)

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Agatha Christie: Die Autobiographie. Hofmann und Campe, 2017.

Die Autobiografie von Agatha Christie ist anders als andere Autobiografien. Das beginnt mit der Einordnung der Handlungszeit. Ihre Kapitel tragen Überschriften wie „Eine glückliche Kindheit“, „Spiel und Ernst“, „Rund um die Welt“ oder „Die Härten des Lebens“. Das Buch ist zwar chronologisch aufgebaut. Aber eine Jahreszahl oder eine Datumsangabe findet sich äußerst selten. Nur an historischen Ereignissen wie dem Ersten Weltkrieg kann man die Handlungszeit festmachen. Es erstaunt auch, dass Agatha Christie ihr Schriftstellerleben nur relativ kurz behandelt. Dabei erfährt man zwar alles Wichtige, aber ihre erste Kurzgeschichte, die „an einem unfreundlichen Wintertag“ entstand, Christie muss damals noch ein Teenager gewesen sein, taucht erst auf Seite 213 auf, Poirot wird auf Seite 305 erfunden und „Warmherzig und betulich – Queen Agatha“ weiterlesen

Tod mit Ansage

Was der Schreiber so liest (25)

Sabine Schulze Gronover: Todgeweiht im Münsterland (2012)

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Sabine Schulze Gronover: Todgeweiht im Münsterland. Emons Verlag Köln, 2012

Stellen Sie sich vor, Sie liegen entspannt am Strand der Ostsee und Ihnen begegnet eine interessante, leichtfüßige Frau, die Ihnen wie beiläufig sagt, Sie hätten nur noch fünf Tage zu leben, bevor Sie buchstäblich spurlos verschwindet. Der Schock wäre nachvollziehbar.
In genau diese Situation wirft die Autorin Sabine Schulze Gronover ihren Protagonisten Michael Schubert in ihrem Kriminalroman „Todgeweiht im Münsterland“. Der Held ist Cheflektor, und ausgerechnet der von ihm beförderte Roman um eine Familientragödie löst eine ganze Reihe neuer Verbrechen aus. Dabei wollte sich Schubert noch ein paar schöne letzte Tage machen und nun ist er mittendrin und buchstäblich vom Tod umgeben. „Tod mit Ansage“ weiterlesen

Hinunter bis in die Hölle

Was der Schreiber so liest (24)

Stephen King: Der Outsider (2018)

Stephen King: Der Outsider. Heyne Verlag München, 2018

Pünktlich im Herbst beschenkt uns der Meister des Grauens. Zwischendurch spuckt er noch ein paar kleinere Spukgeschichten aus, sodass die Fans von Stephen King immer wieder etwas zu lesen haben.
Das 2018er Werk heißt „Der Outsider.“ Stephen King erzählt darin die Geschichte eines schrecklichen Kindsmordes. Augenzeugenberichte und die Spurenlage weisen auf den bislang unbescholtenen Baseballtrainer Terry Maitland. Der indes hat ein einwandfreies Alibi, was sich erst nach seiner Verhaftung zeigt. Mehr noch: Je tiefer die Ermittler um Ralph Anderson graben, umso mehr Ungereimtheiten treten zu Tage. Dumm nur, dass der Verdächtige auf den Stufen des Gerichts vom Bruder des Opfers erschossen wird.
Es ist einer der Schwachpunkte des „Outsiders“, dass der Übergang von einem packenden Thriller in eine übernatürliche Geschichte diesmal nicht fließend geschieht, „Hinunter bis in die Hölle“ weiterlesen

Verführung in Flussnähe

Was der Schreiber so liest (23)

Ulf und Juliane Annel: 111 Orte an der Unstrut, die man gesehen haben muss (2018)

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Ulf und Juliane Annel: 111 Orte an der Unstrut, die man gesehen haben muss. Emons Verlag Köln, 2018

Mit „111 Orte an der Unstrut, die man gesehen haben muss“, fügt der Emons Verlag Köln seiner mehr als 300 Bücher umfassenden 111-Orte-Reihe einen weiteren Band hinzu, den neunten, der sich mit Zielen in Thüringen befasst. Ulf Annel hat ihn geschrieben, Tochter Juliane Annel die stimmigen Fotos beigesteuert. Für das Duo kein unbekanntes Terrain, sie verfassten für die Reihe schon beide Erfurt-Bände, den über Weimar und den über die Thüringer Museen.
Mit einer Liebeserklärung beginnt Ulf Annel schon das Vorwort.  Die Unstrut, so schreibt er, bildet „eine Flusslandschaft, die in ihrer sanften Schönheit ihresgleichen sucht.“ Er wählt für seinen Reiseführer einen geografischen Ansatz: Wer mag, der kann den Annels folgen „Verführung in Flussnähe“ weiterlesen

Grüße von Skripal

Was der Schreiber so liest (22)

Frederick Forsyth: Das vierte Protokoll (1984)

Das vierte Protokoll
Frederick Forsyth: Das vierte Protokoll. Cover der Taschenbuchausgabe von Piper 2013

Es waren nur wenige Klassiker der Unterhaltungsliteratur, die ich aus dem dazugehörigen Regal meines Vaters in meine kleine Bibliothek rettete. Mario Puzos „Der vierte K.“ gehörte ebenso dazu wie Frederick Forsyths „Das vierte Protokoll“ – die auffällige Zahl war dabei wirklich Zufall. Von Forsyth kannte ich bereits jüngere Titel, wie „Der Rächer“ oder „Der Afghane“.
Auch das „Protokoll“ erwies sich als spannender Agenten-Thriller, wenngleich er erwartungsgemäß alle Klischees des Genres bedient. Vom Leser wird ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit verlangt; nicht nur, um bei der Vielzahl der britischen Sicherheitsbehörden den Durchblick zu behalten, sondern vor allem, weil Forsyth ein dichtes Netz miteinander verwobener Handlungsstränge bei einer großen Personage knüpft. „Grüße von Skripal“ weiterlesen