Draußen vor dem Fenster liegen graublaue Wolken bleiern auf das Land. Die Krähen lassen sich ausgelassen vom Wind durch die Luft wirbeln, einem Wind, der ungestüm die Blätter von den Bäumen reißt. Auch den Sonnenscheinchen unter uns wird klar: Das war es jetzt mit den schönen Spätsommertagen. Ich sitze in meiner warmen Schreibstube, umgeben von Büchern und Papieren, einen dampfenden Pott Tee vor mir, und muss mich erst an den Gedanken gewöhnen, dass dies nun mein neuer Arbeitsplatz werden soll. Und obwohl ich mich mindestens die letzten fünf Jahre auf diesen Tag gefreut habe, überfällt mich eine gewisse Wehmut.
Es ist ziemlich schwer, ohne Pathos über den Start eines neuen Lebensabschnittes zu schreiben, wenn es einen denn selbst betrifft. Nicht ganz so schwer, wie sich am Ellbogen zu lecken, aber man muss es erst einmal hinkriegen. Zumal, wenn mit diesem Kapitel eins zu Ende geht, das die Hälfte der Lebenszeit angedauert hat. In meinem Fall ist es der Abschied von der Tageszeitung.
Mal von ein paar Spezialisierungen abgesehen habe ich bislang in drei Berufen gearbeitet, aber in keinem so lange, wie im Journalismus. 29 Jahre lang war ich „meiner“ Zeitung treu, ein Vorspiel im Norden und ein paar flüchtige Flirts mit anderen Blättern mal ausgenommen. Doch die Zeitung hat sich verändert, ich habe es auch, und da war die Trennung der einzig gangbare Weg. Der Blick zurück ist kein Blick im Zorn, ich habe viele gute Jahre gehabt, ich hatte auch ein Auskommen mit meinem Einkommen, wenngleich ich mich bis heute frage, wer eigentlich die „fürstlichen Gehälter“ bezieht, die uns ein früherer Chefredakteur immer gerne vorgehalten hatte, wenn er die Schrauben noch ein bisschen enger anziehen wollte. Nein, unterm Strich sollte ich wirklich zufrieden sein.
Waren Schüler zu Besuch in unserer Redaktion, habe ich stets vom „schönsten Beruf der Welt“ geschwärmt, und doch keinen Hehl daraus gemacht, dass für mich immer das Schreiben das Schönste war, und nicht das „Zeitungmachen“. Fast drei Jahrzehnte, das ist wie in einer passablen Ehe, das wirft man nicht einfach weg, so was geht einem nahe und hängt einem nach.
Heute starte ich in meinen vierten Beruf. Und bin erstmals seit langem nicht mehr in der Lage, vom Schreiben leben zu können. Als Schriftsteller in prekären Verhältnissen weiß ich mich in der Mehrzahl meiner Kollegen. Ohne Verlag, aber mit anderthalb fertigen Manuskripten in der Schublade. Ohne festes Einkommen, aber mit einem unbändigen Optimismus – und mit Ideen für die nächsten 185 Jahre. Ohne Chef, aber mit zuverlässigen Freunden und einem stabilen Hinterland.
Wenn ich an so einem Tag einen Wunsch frei haben sollte, dann den: Lesen Sie mich weiter. Hier und zwischen den Buchdeckeln. Da halte ich es doch gerne mit Gotthold Ephraim Lessing, der schon vor rund 250 Jahren um dasselbe bat, freilich mit geschliffeneren Worten:
Wer wird nicht einen Klopstock loben?
Doch wird ihn jeder lesen? Nein.
Wir wollen weniger erhoben
und fleißiger gelesen sein.