Nebel über dem Kaukasus

Was der Schreiber so liest (30):

Nino Haratischwili: Die Katze und der General (2018)

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Nino Haratischwili: Die Katze und der General. Frankfurter Verlagsanstalt 2018

Gleich mit ihrem Romandebüt „Juja“ (2010) schaffte es die 1983 in Georgien geborenen Nino Haratischwili auf die Longlist des Deutschen Buchpreises. Acht Jahre später und nach ihrem großen Erfolg „Das achte Leben (Für Brilka)“ erschien in der Frankfurter Verlagsanstalt „Die Katze und der General“ – und landete bereits auf der Shortlist für den Buchpreis. Ob dabei die Tatsache eine Rolle spielte, dass Georgien 2018 das Gastland der Frankfurter Buchmesse war, bleibt natürlich ein Geheimnis der Jury.
Worum geht es in dem Buch? Haratischwili verknüpft ein grausiges Geschehen während des Tschetschenien-Krieges vor 20 Jahren mit dem Leben der Einwanderer in Berlin in der Gegenwart. Die „Katze“, eine Schauspielerin, die wie ihre Schöpferin aus Georgien stammt, bekommt von einem russischen Oligarchen, dem „General“ ein seltsames, aber lukratives Angebot. Für ein Video soll sie eine Tote spielen, eine junge Frau, die vor 20 Jahren in Tschetschenien bei einer Vergewaltigung getötet wurde. Der „General“, bei dem lange offen bleibt, wie weit er Schuld an dem Geschehen trägt, will die Mittäter anlocken, damit endlich ein Prozess die Wahrheit ans Licht bringt und er mit dem Geschehen abschließen kann.
Ein spannender Plot. Indes verlor ich nach 100 Seiten beinahe die Geduld und hätte das Buch weggelegt. Ein Scherz aus der Verlagswelt fällt mir ein:
Der Verleger liest laut vor: „Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt.“ Dann fährt er den Autor an: „Und? Was für eine Zielgruppe soll das interessieren? Insekten?“ – Freilich, Franz Kafka hätte es heute schwer, eines seiner Manuskripte bei einem Verlag zu platzieren. Und ich frage mich: Wie hat es Nino Haratischwili mit dem Manuskript zu diesem Verlag geschafft?
Schwerblütig und langsam fängt sie an, nimmt den Leser mit in die kaukasischen Berge. Der Nebel, den sie gleich im ersten Absatz einführt, lichtet sich nur langsam. 1994, so lässt sie uns wissen, spielt die Szene um das Mädchen Nura. Sie stellt in einem 68-seitigen Prolog deren Familie und Dorf vor, mit allen Verästelungen und Wurzeln. Was es mit dieser Familie auf sich hat, erfährt der Leser nicht. Im Teil eins sind wir dann in Russland und lernen einen jungen Mann kennen – wieder nebst Familie. Auch hier bleibt der Leser im Dunkeln, ahnt nur, weil es ja sonst kein Buch wird, dass es irgendwo eine Verbindung geben muss. Dann wird die „Katze“ eingeführt und erst nach 100 Seiten werden die ersten der losen Fäden miteinander verknüpft.
Nino Haratischwili verlangt dem Leser einiges ab – vor allen Dingen Geduld. Denn das Spiel mit den Familien und ihren Verästelungen wiederholt sich mehrfach. Dabei entsteht ein wunderbar atmosphärisches Sittengemälde, aber der Nebel des ersten Absatzes wabert weiter über diesem Bild. Es fehlt eine gewisse Glaubhaftigkeit des Geschehens. Nur ein Beispiel: Die Figur des „Generals“ wird als unermesslich reich geschildert – und zugleich als unbarmherzig und brutal. Er will die „Katze“ um jeden Preis als Darstellerin in dem besagten Video. Und was macht die Schauspielerin, chronisch knapp bei Kasse und gerade wegen Mietverzug aus der Wohnung geworfen? Sie verlangt mit 42.000 Euro genau die Summe, die ihre arme alte Mutter zur Begleichung ihrer Schulden benötigt, die sie für die medizinische Versorgung der Oma vorstrecken musste. So viel Bescheidenheit und Edelmut passt einfach nicht zu der Figur.
Dabei sind es vor allem Frauen, die einen starken Eindruck hinterlassen, wenn man bereit ist, über ihre Klischeehaftigkeit hinweg zu sehen. Die Reichen sind zu reich, die Armen sind zu arm, die Künstler leben allesamt in prekären Verhältnissen, es wimmelt von Taugenichtsen und Trunkenbolden, die Emigrantenszene scheint nur aus Extremen zu bestehen. Freilich, vom Leben der Georgier in Deutschland weiß der deutsche Leser nur wenig – der Eindruck des Übertriebenen indes bleibt. Und schließlich: Ich muss keine Eier legen können, um die Qualität eines Omeletts zu beurteilen.
„Die Zeit“ nennt Harataschwilis jüngstes Buch eine „Seifenoper“ über den Krieg und attestiert der Autorin eine „sprachliche Katastrophe“. Dem würde ich mich gerne anschließen. Zu konstruiert die Handlung, zu unglaubwürdig viele der Figuren, zu theatralisch die Emotionen. Dass Nino Haratischwili von Haus aus Dramatikerin ist, mag man nach der Lektüre kaum glauben – Spannung geht dem Roman völlig ab.
Ich habe ihn nicht beiseitegelegt, sondern mich brav bis zur letzten Seite vorgearbeitet. Um ein weiteres Buch von Nino Haratischwili zu lesen, muss man mir aber schon starke Argumente vortragen.

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