Was der Schreiber so liest (28)
Stephen King: Erhebung (2018)
Das hat mich dann doch ein bisschen ratlos gemacht: Komme ich eines Tages zu meiner Buchdealerin, und sie fragt mich mit schelmischem Lächeln, ob ich den neuen King nicht mitnehmen will. Eine steile Falte gräbt sich in meine Stirn. Den „Outsider“ hatte ich erst vor ein paar Wochen gekauft. Da lächelt sie und weist auf ein unscheinbares Bändchen. Eine Verwechslung? In gelben Versalien steht dort der Name des Meisters – auch das Logo des Heyne-Verlages findet sich. Ich nehme das Leichtgewicht in die Hand. Es ist so anders als die Kings, die ich kenne. Zwar ein Hardcover, fehlt ihm aber der Schutzumschlag. Und dann: 144 Seiten, es wiegt fast nichts.
Das hat „Erhebung“ auch mit seinem Protagonisten gemeinsam. Scott Carey, eine stattliche Erscheinung von 1,93 Meter, wird immer leichter, ohne dass sein Körper sich verändert. So weit, so schlecht. Ein befreundeter und pensionierter Arzt, den er ins Vertrauen zieht, weiß keinen Rat – die empfohlene Untersuchung durch Spezialisten lehnt Scott ab, er will nicht in irgendein Räderwerk höherer Mächte geraten.
Nun will es das Leben, besser gesagt, der Autor, dass in dem Kleinstädtchen Castler Rock (King-Freunden keine unbekannte Stadt, hier trieb schon Cujo sein Unwesen) ein lesbisches und verheiratetes Pärchen seit einiger Zeit ein Restaurant betreibt. Ein Restaurant, das wohl bald wieder schließen muss. Die Intoleranz und unverhüllte Homophobie der miesepetrigen Kleinstädter sorgt dafür, dass das Lokal von Deirdre und Missy gemieden wird.
Scott nun, angesichts seiner bevorstehenden Auflösung in, nun ja, in Nichts, beginnt seinen persönlichen Kampf für das Restaurant und gegen die Intoleranz. Insofern, das muss man King schon attestieren, ist dieses kleine Büchlein schon hochaktuell und politisch nicht unwichtig.
Höhepunkt der Handlung ist ein 12-Kilometer-Lauf ist, den der buchstäblich erleichterte Scott gegen die versierte Läuferin Deirdre gewinnt, oder hätte gewinnen können, wäre er nicht so ein edelmütiger Ritter. Und natürlich hat das Ganze auch einen Schluss.Für den herkömmlichen opulenten Erzählstrom von Stephen King kommt die Geschichte überraschend schlicht daher. Ist dem Mann die Luft ausgegangen, die Tinte im Füller eingetrocknet?
Eine äußerst belesene Freundin von mir, ebenfalls Fan von Stephen King, war von dem Büchlein einigermaßen enttäuscht. Das Ende war ihr zu vorhersehbar. Mich hat das Ende überrascht. Nicht in seinem Ausgang, sondern in seiner Herbeiführung und seiner Endlichkeit. Das soll es schon gewesen sein? Ratlos kam ich vor dem Lesen in die Buchhandlung, etwas verstört lege ich das Buch nach dem Lesen wieder beiseite. Und hoffe auf den Herbst – mit ordentlich was zum Beißen vom Meister. Angekündigt ist „Das Institut“, mit 750 Seiten und wieder von Bernd Kleinschmidt übersetzt. Im Mittelpunkt stehen dann paranormale Kinder.