Was der Schreiber so liest (14)
Stephen King: Sleeping Beauties (2017)
Pünktlich im Herbst – in diesem Jahr sogar pünktlich zu des Meisters 70. Geburtstag – bringt der Heyne-Verlag den jeweils aktuellen Roman von Stephen King auf den Markt. In diesem Jahr waren es die „Sleeping Beauties“. Ein Buch, das erstmals Kings Sohn Owen als Co-Autor benennt. Allein das erweckt schon Neugier.
„Sleeping Beauties“ fesselte mich relativ schnell. Ein außergewöhnliches Setting, nämlich ein Frauengefängnis, sowie die gewohnte Personage einer typischen amerikanischen Kleinstadt im Nirgendwo ließen mich in der Lektüre schnell wohlfühlten. So verschlang ich den fast 960 Seiten starken Wälzer im King-Tempo und stellte fest: Solides Handwerk.
Frauen, die einschlafen, werden von einem geheimnisvollen Kokon umhüllt – und wachen nicht mehr auf. Wehe dem, der versucht, den Kokon zu entfernen. Er weckt nur das Böse. Nur eine scheint seltsam immun gegen die Krankheit: Evie Black wird zunächst wegen Mordes in das Frauengefängnis von Dooling eingeliefert, doch schnell wird klar, dass sie auch zu ihrem eigenen Schutz hinter Schloss und Riegel gehört. Ist die Immune die Hoffnung auf ein Gegenmittel, oder ist sie als die Reinkarnation des Bösen die Verursacherin der Krankheit, ein Dämon, den es zu vernichten gilt?
Passend zur aktuellen Sexismus-Debatte verhandelt Stephen King in seinem Buch die interessante Frage, ob die Welt ohne Männer eine bessere wäre; ob alles Böse auf dieser Welt von den Männern ausgehe.
Stephen King greift bei „Sleeping Beauties“ auf eine ganze Reihe bekannter Motive zurück. So erinnern die Begleiterscheinungen des Munter-Bleibens an sein „Schlaflos“, die Existenz eines Paralleluniversums an die Saga vom dunklen Turm und so weiter. Im Buch gibt es Längen, die durchaus einer Kürzung bedurft hätten, beispielsweise beim langen Marsch vor dem Angriff auf das Gefängnis – das hätte man nicht auf mehr als hundert Seiten ausdehnen müssen. Auch die Beschreibungen einzelner Episoden aus „Unserem Ort“ sind episch ausgewalzt, ohne einen Gewinn für die Geschichte zu bringen. Der Meister fabuliert halt gern. Und wenn er im Nachwort betont, „Sleeping Beauties“ wären in der ursprünglichen Form wesentlich länger gewesen, so halte ich das für eine Legende. Es sei denn, der Lektor war zu feige, noch weitere Kürzungen zu empfehlen.
Was ich bis jetzt noch nicht gefunden habe, war der Beitrag von Owen King. Es ist ein Stephen-King-Buch. Entweder hat Owen keine eigene Stimme, oder er hat sie seinem Vater zu stark angepasst. Allerdings habe ich auch noch nichts anderes von Owen King gelesen. Doch sein Bruder Joe (er schreibt unter dem Pseudonym Joe Hill) beweist, dass auch ein King-Sohn einen ganz eigenen Stil entwickeln kann.
Fazit: Für Stephen-King-Fans eine erfreuliche Pflichtlektüre, aber nur durchschnittliche Kost. Für alle anderen Leser eine spannende Geschichte, die genreübergreifend sowohl den Thriller als auch die Fantasy einbezieht. Lesefreude pur.