Was der Schreiber so liest (13)
Jörg Maurer: Der Tod greift nicht daneben
In einem Kurort, einem bayerischen zudem, in dem Zugereiste bis ans Lebensende Fremde bleiben, in dem höchstens deren dort geborene Kinder eine Chance haben, als Einheimische zu gelten, assimiliert sich ausgerechnet ein Schwede innerhalb von fünf Jahren so, dass „kaum jemand wusste“, wer und was sie früher waren. Warum macht der Jörg Maurer das? Weil er einen Regionalkrimi schreiben will, weil er den an sich tollen Plot, der wohl am besten in Schweden angesiedelt wäre, unbedingt auf seinen bayerischen Kommissar Jennerwein aufpfropfen muss! Ob das gelingt?
Langatmig ist die Geschichte erzählt. Die fehlende Hand, die dem Leser schon im Klappentext versprochen wird, taucht ziemlich vorhersehbar auf Seite 170 das erste Mal auf. Langwierige Schilderungen treiben die Handlung kein bisschen voran, und der Leser stellte missgelaunt fest, dass Polizeichef und Staatsanwältin mehrfach aus denselben Gründen auf eine Einstellung des Verfahrens drängen. Auch die Untersuchung in der Gerichtsmedizin dauert mit allerlei Einschüben sage und schreibe 100 Seiten. Und damit der Leser bei alldem nicht einschläft, fügt Maurer thrill-geladene „Vorgriffe“ ein, lässt ein friedhofverliebtes Pärchen Postkarten aus halb Europa schreiben und entdeckt eine eingeschneite Touristin in den Bergen schaurige Tagebücher.
Goofs, kleine, ungewollte Fehler im Detail, unterlaufen jedem Schreiber. Bei Maurer stolpert man über fehlende Bilder an der Wand, die sich durch helle Stellen verraten, obwohl sie höchstens fünf Jahre dort hängen konnten. Unklar ist auch, wie eine Frau, die beim Öffnen der Tür von einer Schneelawine überrollt wird, „draußen vor der Tür“ eine Schaufel „fand“. Unverzeihlich hingegen wird es, wenn ein erfahrener Krimiautor wie Jörg Maurer in seinem siebenten Krimi von einem „deutschen Polizeiaufgabengesetz“ redet – weiß der Mann noch immer nicht, dass in Deutschland Polizei Ländersache ist?
Es dauert lange, bis der Leser erfährt, dass die Touristin in den Bergen nichts mit der Handlung zu tun hat, dass die inflationären Hinweise auf die „gepritschelten Krumbien“ aus Rumänien nur als Gag des Gags wegen aufgeführt sind, und dass auch der moderne Datenhelm, den der Hacker entwickelt hat, ungefähr genauso sinnfrei ist wie ein Magnetarmband zur Bekämpfung von Krebs – über die Eigenschaften des Helms verfügt jedes zweite GPS-Gerät für Wanderer. Nein, der Leser merkt erst allmählich, dass es sich hier um Klamauk handelt. Um überflüssigen Klamauk, der weder die Handlung vorantreibt noch die Figuren entwickelt. Maurer erzählt das, weil es ihm gefällt.
Über weite Strecken vergnüglich zu lesen ist, wie Maurer mit der Sprache umgeht. Es ermüdet nur dort, wo er dem Leser beweisen will, wie viel bayerische Synonyme für das jeweilige Wort existieren. In seinen durchaus humorvollen Einschüben kann er den Kabarettisten nicht leugnen, und hier und da schleicht sich die Überzeugung ein, der Krimi würde als Hörbuch besser „funktionieren“ als zwischen Buchdeckel gepresst.
In meinem Exemplar steht ganz vorne eine Widmung: „Druckfrisch empfohlen von Denis Scheck“. Genau deswegen habe ich mir „Der Tod greift nicht daneben“ auch gekauft – Maurer wurde 2015 von Denis Scheck hoch gelobt. Regionalkrimis, so Scheck, gehören meist „in die unterste Schublade der Unterhaltungsliteratur“, nur Maurer mache eine Ausnahme. Nun, nach der Lektüre von „Der Tod greift nicht daneben“ verstehe ich zumindest den ersten Teil der Aussage. Wenn das Buch zu den besten Regionalkrimis zählt, dann möchte ich nicht die schlechten kennenlernen.
Aber Jörg Maurers „Der Tod greift nicht daneben“ zeigt das Dilemma der deutschen Regionalkrimis: Eine zwanghafte Verortung in einer Region und in einem Dialekt, verbunden mit dem Bemühen, irgendwie lustig zu sein, kann manch hervorragenden Plot gründlich verderben. Ich werde es mir merken.