Was der Schreiber so liest (24)
Stephen King: Der Outsider (2018)
Pünktlich im Herbst beschenkt uns der Meister des Grauens. Zwischendurch spuckt er noch ein paar kleinere Spukgeschichten aus, sodass die Fans von Stephen King immer wieder etwas zu lesen haben.
Das 2018er Werk heißt „Der Outsider.“ Stephen King erzählt darin die Geschichte eines schrecklichen Kindsmordes. Augenzeugenberichte und die Spurenlage weisen auf den bislang unbescholtenen Baseballtrainer Terry Maitland. Der indes hat ein einwandfreies Alibi, was sich erst nach seiner Verhaftung zeigt. Mehr noch: Je tiefer die Ermittler um Ralph Anderson graben, umso mehr Ungereimtheiten treten zu Tage. Dumm nur, dass der Verdächtige auf den Stufen des Gerichts vom Bruder des Opfers erschossen wird.
Es ist einer der Schwachpunkte des „Outsiders“, dass der Übergang von einem packenden Thriller in eine übernatürliche Geschichte diesmal nicht fließend geschieht,
sondern abrupt. Mit einem Mal weiß man, hier kann etwas nicht stimmen, hier entzieht sich etwas dem gesunden Menschenverstand. Kein Mensch kann zur selben Zeit an zwei Orten sein, schon gar nicht, an beiden Orten Fingerabdrücke und DNA hinterlassend. Der Trick von King diesmal: Er lässt sein Personal dasselbe denken, wie den Leser, so kann er den Übergang leicht kaschieren.
In früheren Werken gelang ihm das so, dass man auf einmal über die unbemerkt vonstattengegangene Metamorphose staunte. Auch im „Outsider“ lässt er diese Technik noch einmal aufblitzen: Wie zum Beispiel Jack Hoskins von einem unzuverlässigen Kollegen (der einsame Angelurlaub, der gelegentliche Griff zur Flasche) zu einem hasserfüllten Kollegenschwein wird, ist schon von erzählerischer Finesse – da hat nicht nur der „Outsider“ mit Handauflegen daran gedreht.
Für mich einer der angenehmsten Momente beim Lesen war das Auftauchen von Holly Gibney aus der Trilogie um den Ermittler Bill Hodges (Mr. Mercedes, Finderlohn, Mind Control). Die wuschige Sympathieträgerin avanciert zu einer der Hauptfiguren im neuen Buch.
Auch anderes sorgt für eine gewisse Vertrautheit. Die aufgelassene Schauhöhle ist eines der typischen King’schen Symbole. Und mehr als das. Die Höhle ist der Übergang von der realen Welt in ein anderes Universum, in eines der vielen King-Universen. „Wisst ihr, was Roger mal zu mir gesagt hat?“, fragt eine der Figuren. „Er hat gesagt, dass die Marysville-Höhle wahrscheinlich bis runter in die Hölle reicht.“
An Symbolen und Symbolik gebricht es King nicht, wie immer. Die Schlange, der Sündenfall, hier der Rächer. Die Höhle als Platz für den Showdown, das Ausweglose der Situation, die überraschende Wendung, der Drive, den die Sache am Ende aufnimmt … das Finale ist wie ein erkennbares musikalisches Arrangement.
Unterm Strich: Ein durchaus lesenswerter King, der dennoch nicht an die Hodges-Trilogie oder an die großen Würfe der letzten zehn Jahre wie „Wahn“ (2008), „Die Arena“ (2009) oder „Der Anschlag“ (2011) anknüpfen kann.