Was der Schreiber so liest (15)
Antje Babendererde: Isegrim
Ich habe keine Ahnung, wann ich das letzte Mal ein Jugendbuch gelesen habe. Doch weil mir Antje Babendererde versichert, „Isegrim“ sei für Erwachsene ebenso geeignet wie für Jugendliche, lasse ich mich auf das Experiment ein.
„Isegrim“ interessiert mich vor allem als Wolfs-Geschichte. Ein Thema, das gerade für Thüringen hochaktuell ist. Und so staune ich über alle Maßen, dass Antje Babendererde das Auftauchen des Wolfes auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz Ohrdruf bereits vor fünf Jahren bis ins Detail vorwegnahm. Eine Bestätigung für diejenigen, die schon immer sagten, es sei keine Frage ob, sondern wann der Wolf in Thüringen auftauche.
Die Autorin erzählt ihre Geschichte aus der Perspektive von Ich-Erzählerin Jola, einem 16-jährigen Mädchen, das so mit dem Wald verwurzelt ist, dass ich wehmütig an meine eigene Kindheit und Jugend denken musste. Jola spürt, dass im Wald etwas vorgeht, was ihr verborgen bleibt, und sie spürt, dass Kai, mit dem sie vor drei Wochen den ersten Sex hatte, vielleicht doch nicht der Richtige fürs Leben sei – die beiden sind einfach zu gut befreundet.
Schon sind die ersten Spannungsbögen angelegt, und die Geschichte zieht mich in ihren Bann, wenngleich mich anfangs vor allem die Erzählerstimme irritiert: Beschreibt eine 16-jährige Gymnasiastin so gut, präzise und schnörkellos? Hat sie so einen umfangreichen Wortschatz? Meine Erfahrungen sind andere.
Doch die Zweifel sind schnell vergessen, man folgt Jola gerne in den Wald, begleitet sie bei ihren Entdeckungen und sorgt sich gemeinsam mit ihr um das aktuelle Schulprojekt. Mit dem kommt ein weiterer Handlungsstrang ins Spiel – der um einen nach dem Krieg ermordeten polnischen Flüchtling. Ach ja, und da war ja noch die Freundin aus Kindertagen, die spurlos im Wald verschwand. Und: Ein geheimnisvoller Fremder treibt sich im Wald herum, beides wichtige Elemente des Buches. All das verwebt Antje Babendererde zu einem dichten Spannungsnetz, dem man kaum entkommen kann. Und will. Das liest sich atemlos, obwohl es offenbar ganz bewusst ohne die leicht durchschaubaren Tricks fürs Gänsehaut-Feeling auskommt.
Ich jedenfalls wollte das Buch gar nicht mehr aus den Händen legen. Und wer sich vor einem 400-Seiten-Wälzer fürchtet, der kann ganz beruhigt sein: Schriftgröße und Layout sorgen dafür, dass sich das so einfach wegliest.
„Isegrim“ – ein Buch, das ebenso Lust macht auf einen Waldspaziergang wie auf mehr Lektüre von Antje Babendererde, die bislang eher durch ihre Indianer-Romane auf sich aufmerksam gemacht hat. Frisches Lesefutter der Autorin gibt es übrigens schon ab 2. Februar in den Regalen. Dann erscheint ihr neues Buch „Wie die Sonne in der Nacht“.