Mit der Schablone entworfen

Was der Schreiber so liest (6)

Ken Follett: Kinder der Freiheit (2014)

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Ken Follett: Kinder der Freiheit. Lübbe Verlag, 2014

Gottlob, es ist vorbei! Die sogenannte Jahrhundert-Trilogie von Ken Follett umfasst drei Bände oder 3255 Seiten in der Erstausgabe von Lübbe. Vom ersten Buch fühlte ich mich noch prächtig unterhalten. Die Anlage des Epos war nett – es verfolgt den Lebensweg von fünf Familien aus Amerika, Russland, England und Deutschland quer durch das 20. Jahrhundert. Querverbindungen aus dem ersten Band (Sturz der Titanen), wie die des Deutschen Walter von Ulrich mit der englischen Lady Maud legen den Grundstein für spannende Verstrickungen im zweiten Teil (Winter der Welt), der zwischen der Machtergreifung Hitlers und der Teilung Deutschlands spielt.
Doch schon im zweiten Teil begann das Dilemma. Allzu dicht waren Folletts Protagonisten an den Entscheidungsträgern der Weltgeschichte. Allzu klischeehaft deren Heldentum. Und allzu sehr mit der Schablone geschrieben waren vor allem die Beziehungen der Paare untereinander. Nach zwei Bänden hatte ich eigentlich keine Lust mehr auf den dritten – seichte Unterhaltung ist nicht so meins. Doch wer die zwei Wälzer einmal im Bücherschrank hat, der kann schwerlich auf den dritten verzichten. So las ich mehr aus Disziplin als aus Leidenschaft auch noch »Kinder der Freiheit«, den letzten Band, der die Zeit des Kalten Krieges bis zum Mauerfall umfasst.
Und fand mich nicht getäuscht: Die Schurken immer schurkig, die Helden immer heldig, die Geschichte immer staatstragend historisch. Drunter tut er es nicht. Doch je mehr sich Follett zeitlich meiner Generation näherte, umso mehr standen mir die Haare zu Berge. Seine Protagonisten haben es mit Mitte 20 eigentlich alle schon geschafft – als Rockstars, Berater des Außenministers, Geliebte des Präsidenten und so weiter. Folletts Vorstellungen vom Ostblock sind stellenweise grotesk, wenn beispielsweise ein junger Berater plötzlich »Kandidat des Politbüros« wird. Oder hier: »Stasimänner waren leicht zu erkennen. Sie waren brutal, aber nicht sonderlich klug.« Das klingt wie Malen nach Zahlen in einem Geschichtsbuch. Auch die Paarbeziehungen könnten kaum stereotyper sein. Junger Mann liebt junge Frau, die liebt einen anderen, der erweist sich über kurz oder lang als Schurke und sie kehrt reumütig zum abgewiesenen Verehrer zurück. Die Geschlechter sind natürlich beliebig austauschbar. Überflüssig, zu erwähnen, dass Folletts Helden bei allen wichtigen Entscheidungen live dabei sind: Tanja berichtet als TASS-Korrespondentin und heimliche Dissidenten-Unterstützerin sowohl von der Stationierung sowjetischer Atomraketen auf Kuba als auch von der Werft-Rede Lech Walesas, und ist selbstverständlich dabei, als Schabowski versehentlich die Mauer öffnet. Die anderen Protagonisten sehen Martin Luther King sterben und beauftragen den Wanzen-Einbau im Hotel Watergate. Und so weiter.
Für solcherlei plappernden Grusel haben die Privatsender im Fernsehen einen Namen: Gescriptete Doku. Es sollte mich nicht wundern, wenn wir die Jahrhundert-Trilogie demnächst im Fernsehen sehen: Mit Veronica Ferres als toughe russische Reporterin mit Herz und Til Schweiger als nuschelnden Superman der US-Regierung. Es wird ein Kassenfüller. Ein Genuss wird es nicht. Dafür hat die Vorlage zu wenig Tiefgang.
Und Ken Follett? Der wandert bei mir auf den Index. Schade, dass ich für diese Erkenntnis sechs Bücher gebraucht habe.

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